Schweres Beben im sensiblen Ortskern

Die Marburger Innenstadt wird sich in den nächsten Jahren komplett verändern. Campus-Neubau, Stadthallen-Sanierung, Hauptbahnhof. Der Einzelhandelsverband beobachtet die Entwicklung mit Sorge.

Durchfahrt verboten: An der Kreuzung Elisabethstraße/Bahnhofstraße/Wehrdaer Weg könnte es nach ersten Überlegungen eine Durchfahrtssperre geben. Für den Einzelhandelsverband wären die Folgen verheerend. 

Marburg

Marburg. Hans Joachim Ebert, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Hessen-Nord (EHV), hegt große Skepsis an den Plänen. Er fürchtet um das Image der Oberstadt. „Wie bringt man die ganzen Großprojekte alle unter einen Hut. Das bedarf unglaublicher Abstimmungen.“ Er fürchtet, durch die ganzen Großprojekte und Veränderungen werden die Gäste aus der Stadt ferngehalten. „Wir haben in Marburg ein sensibles, kleines Oberzentrum. Wir können uns nicht alles erlauben, was den Zugang und die Erreichbarkeit angeht.“

Marburg habe in der Außendarstellung laut Ebert folgendes Image:

  • Marburg ist eine Stadt am Berg, also fußläufig schwierig zu bewältigen
  • Marburg hat viele kleine Geschäfte. Das Ganze hat Puppenstuben-Charakter, wirke pittoresk
  • Marburg hat zu wenige Parkplätze
  • Marburg ist atmosphärisch gut, aber schlecht erreichbar.

Und die Lage werde sich weiter zuspitzen. Große Sorgen bereiten dem EHV-Geschäftsführer die Planungen in der Nordstadt. Werde die Elisabethstraße für den Durchgangsverkehr gesperrt, die Bahnhofstraße somit zur Sackgasse gemacht, dann wirke das auf Gäste, die über die Nordstadt ins Zentrum möchten wie ein Stoppschild. Folge: Ist das Einfallstor im Norden dicht, schreckt das Besucher ab. Das habe nicht nur Auswirkungen auf Einzelhändler und weitere Dienstleister in der Nordstadt. „Das betrifft das ganze Oberzentrum.“

Sei der Weg von Norden zum Parkhaus Pilgrimstein zu oder nur durch komplizierte Wege zu erreichen, werde es nicht mehr genutzt. „Und wenn das wichtigste Parkhaus der Stadt nicht mehr frequentiert wird, kommen die Leute auch nicht mehr in die Oberstadt“, sagt der 58-Jährige.

Der Verbandschef plädiert dafür, die Elisabethstraße für den Durchgangsverkehr tempoberuhigt offen zu lassen. Nur Busse queren zu lassen, das bringe nichts. Zumal auf die Trasse von Robert-Koch- bis Biegenstraße eine enorme Mehrbelastung zukäme.

„Wo soll der ganze Verkehr aus Norden denn hin?“

„Dabei soll doch vor der Stadthalle an der Biegenstraße ein Platz der Begegnung mit Verbindung zum Hörsaalgebäude entstehen. Wo also soll der ganze Verkehr aus Norden denn hin?“.

Der Marburger wirft bei der ganzen Debatte ein Reizwort ein, das schon im vergangenen Jahrtausend die Bürger bewegte: Sektorisierung. „Für manche ist das noch immer aktuell. Das Interesse an einer Sektorisierung habe ich in der Verwaltung nicht festgestellt. Es wird im Hintergrund aber ideologisch unterfüttert.“ Hinter eines solchen Verkehrsmodells verbergen sich die Überlegungen, einzelne Stadtteile nur über die Bundesstraße erreichen zu können. Nicht auf direktem Wege, um den fließenden Verkehr aus dem Zentrum zuhalten. Eine Überlegung, die nach Meinung des Einzelhandelsverbands einzig negative Auswirkungen auf die Oberstadt habe. „Der Innenstadt-Standort muss attraktiver gestaltet werden. Das erreicht man nicht durch eine verkomplizierte Verkehrsführung.“

Ebert betont: die einschneidenden Veränderungen in Marburg bieten eine große Chance. Von Allianzhaus an der Uni-Straße bis zum Hauptbahnhof wird sich das Bild verändern. Er mahnt jedoch: die Verkehrsführung ist entscheidend. Man dürfe die Nord-Süd-Verbindung nicht kappen. Den Verkehr über das Nadelöhr Weidenhäuser Brücke zu leiten, berge nachhaltig ebenfalls Risiken. „Die Versorgung, Attraktivität und die Erreichbarkeit für Auswärtige müssen gesichert werden. Diese Punkte sind entscheidend für die Qualität.“ Werde die Elisabethstraße gesperrt, dann leide die Nordstadt. „Das kann doch nicht Ziel der Planungen sein.“

von Carsten Bergmann